Selbstmitleid – eine Meditation

Ein Mittwoch.

Um Mitternacht stehe ich am Fenster meiner Wohnung im vierten Stock des imposanten Altbaus in der City und betrachte die Leute.

Gegenüber, zwei Etagen höher, lehnt sich die dicke Frau mit den kurzen Locken über ihr Fensterbrett und raucht.

Ich bin sicher, dass sie mich beobachtet, wenn ich auf dem Wohnzimmerparkett masturbiere.

Ich lasse meine ZIgarette auf den Vorplatz des Hauses fallen und wende mich ab. Die Schimpftirade von unten kann sich auf alles beziehen: Das schwüle Wetter, die stinkenden Kanäle, imaginäre Beledigungen von Vorbeigehenden, meine Zigarette, die den Schimpfenden getroffen hat.

Ich brühe Tee auf.


 

Ein Sonntag.

Manchmal sitze ich auf dem Balkon und trinke Wasser, obwohl ich lieber Gin hätte. Wäre ich alleine, wüsste ich sicher, dass mich heute niemand mehr verurteilen kommt, ich wählte den Gin.

Vermutlich rettet mich meine Beziehung vor der Verwahrlosung.

Selbstmitleid: Ich gebe mich auf, jeden Tag aufs Neue, mit jedem Besäufnis ein bisschen mehr.

Und dann sehe ich fern oder arbeite oder tue so, als wäre alles gut, und das merkwürdige Gefühl in mir, das ich nicht verstehe, schaukelt sich auf und wird größer und mächtiger und schwerer und dann versinke ich.

Könnte ich etwas tun dagegen, dann würde ich.

Würde ich?

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